Raus aus der Komfortzone – das war es wirklich. Vom 28.12.2016 bis 04.01.2017 war ich zusammen mit der Refugee Foundation e.V. in einem Flüchtlingscamp in Nordgriechenland in Veria. Das Camp wird von Bridge2Refugees betreut seit Anfang Oktober und verwaltet vom griechischen Militär. Bridge2Refugees ist von Sarah Griffith gegrünmdet und zusammen mit ihrem Sohn Sam James ist sie vor Ort und die „Mutter“ des Camps. Eine unglaubliche Frau mit viel Güte und Tatkraft.

Es ist ein sogenanntes vulnerables Camp, d.h. es sind viele Babys, viele Schwangere, viele Menschen mit Handicaps vor Ort.

Wir waren ein bunt zusammen gewürfeltes Team, die mit voller Power 6 Tages von morgens bis abends vor Ort im Camp unterstützt haben. Dabei waren u.a. die Gründerin Daniela Neuendorf der Refugee Foundation mit ihrem Mann und ihrer Schwester; eine junge Volunteer, die schon im Oktober dabei war; zwei aus dem Verein Easy Welcome e.V. (eine davor bin ich); eine Zahnärztin und ein Zahnarzt; zwei Handwerker und ein ehemaliger Profifußballer Jonas Ermes von In Safe Hands e.V.

Ich war das erste Mal dabei und sehr gespannt, wie ich mit der Situation vor Ort, mit der Arbeit an sich, dem Team und dem ersten Jahreswechsel ohne meinen Mann zurechtkomme.

Mein Fazit ist: es war gut und wichtig vor Ort zu sein, um die Situation der Geflüchteten besser einschätzen können. Wir konnten mit unserer vollen Power in kurzer Zeit sehr viel erreichen und das ist wirklich wunderbar.

Und auch in Veria gilt: wenn wir den Menschen mit Respekt begegnen, erhalten wir viel Positives zurück. Es hat mein Leben bereichert.

Im April geht es wieder dorthin.

 

Hier nun Auszüge aus meinem Tagebuch:

28.12.2016

First day in Veria… natürlich war ich heute Morgen aufgeregt und hatte wenig geschlafen… schon morgens war das erste Treffen am Flughafen müde und motiviert, der Flieger war voll und nach kurzer Zeit gab es einen medizinischen Notfall an Bord. Der Passagier konnte zum Glück etwas stabilisiert werden und wir mussten nicht notlanden. Der Anflug auf Thessaloniki war turbulent. Schönes Wetter haben wir hier, aber es ist sehr kalt. Nachdem wir uns im Lidl eingedeckt haben, das Hotel bezogen, sind wir zum Camp gefahren. Ich war sehr gespannt, was uns da erwartet. Heute sollte nur Anschauen und Besprechen sein. Was alles inzwischen dort an Infrastruktur ist, könnt ihr bei Bridge2Refugees in Facebook lesen. Ich werde aber auch die nächsten Tage berichten. Fotos gibt es demnächst auch. Zum guten Miteinander gehört das gemeinsame sehr leckere Essen und das Zusammensitzen noch im Hotel. Helfen können wir: morgen wird dringend das Lager sortiert, die Handwerker kümmern sich um die Elektrik, Jonas baut das Fußballfeld auf, Daniela klärt die weitere Vorgehensweise ab und und und. Also echt viel zu tun und toll, dass schon so viel gemacht wurde. Gute Nacht, ich bin platt und hier ist noch Weihnachten.

29.12.2016

Second day in Veria: anstrengend – kalt – sonnig – erfolgreich – warum tun wir das? Nach einer nicht so guten Nacht sind wir wieder 35 Minuten zum Camp gefahren und haben losgelegt. Der Kleidungsshop soll diese Woche wieder öffnen. In den letzten Wochen wurde der Raum dafür hergerichtet, so dass die Menschen dort nach einen System sich die Kleidung „einkaufen“ können. Heute wurde auch sehnsüchtig danach gefragt, wann der Shop öffnet. Ein Teil unseres Teams hat sich dann im Sortierraum den Kartons angenommen. Vieles war wieder durcheinander geraten und wir haben einige Zeit gebraucht, um überhaupt wieder Übersicht zu haben. Parallel haben unsere Handwerker im Shop die Stangen verändert, so dass mehr Kleidung aufgehangen werden kann. Und wir haben schon mit dem Einräumen der Sachen begonnen. Leider haben wir auch viele Spenden nicht mehr brauchen können: dreckig, kaputt und manches nicht passend. Das Letztere wird weiter verteilt.
Schön ist, dass wir viele Kartons in den Händen hatten, die mit unseren Konvoi gekommen sind! Bestimmt finde ich noch Kartons von uns :).
Während wir sortiert haben, haben alle andere jeweils genug zu tun gehabt. Die beiden Zahnärzte sind überlaufen worden und haben toll gearbeitet.
Es war sonnig heute, ein schöner kalter Tag. In unseren Räumen zu kalt (wir haben keine Heizung) und ab ca. 16 Uhr zog die Kälte. Das fand ich echt heftig und irgendwann hilft auch die Thermokleidung nicht mehr.
Wie verpflegen wir uns? Frühstück im Hotel, Brot schmieren, vor Ort gibt es nichts und wir sind weit weg von allem. Tee oder Kaffee kochen geht vor Ort.
Das zweite Thema ist der Klogang. Es gibt eine Toilette beim Commander, die wir nutzen können. Zustand ist so lala und ab morgen (hoffentlich) eine Toilette für uns Volunteers (Stehklo). Heute war eher Verkneifen angesagt.
Ich war/bin rattenkaputt und frage mich, warum mache ich das? Es ist harte Arbeit, wir konnten heute Erfolge sehen, aber es war trotzdem für mich grenzwertig. Und wir zwar ein nettes Team, trotzdem würde ich lieber im Tandem (also Partner, Freund/in, etc) zu einem solchen Einsatz fahren. Das ist schöner, wenn man auf sich gegenseitig schaut. So war ich manchmal etwas lost heute. Der Abend in der Taverne hat das Ganze wieder abgerundet und der Erfolg dieses Tages hilft auch sehr dabei.

30.12.2016

Third day in Veria: heute Morgen hatten wir unser Briefing mit Sarah Griffith von Bridge2Refugees in der Gemüse- und Obstkammer :). Es gab und gibt weiterhin so viel zu tun:

-die Zahnärzte, die wieder loslegen wollten
-die Handwerker, die rundherum bauen und vieles reparieren
-die Fußballtrikots und Sportsachen für die Kinder vorsortieren
-Männerjacken, Pullis raussuchen für den Shop
-den Shop weiter herrichten und die Kleiderstangen umbauen
-Planungen und Einkäufe für die große Party im Camp morgen
und und und…
Mein Job heute war es den Shop wieder herzurichten, weiter einzusortieren und ab 14 Uhr im Shop unseren Kunden Kleidung herauszugeben. Hierfür wird hausweise verteilt und jede Familie bekommt ein Ticket und dafür dann eine gewisse Anzahl Kleidungsstücke. Und das gab es einen Riesenandrang. Alle aus dem ersten Haus standen vor der Tür und haben gewartet. Der Shop wird pro Familie geöffnet, um sie in Würde und in guter Atmosphäre ihre Sachen auszusuchen. Das hat Freude gemacht und schön zu sehen wenn es passt. So haben wir heute einen stark übergewichtigen 16jährigen gut ausstatten können. Seine Augen glänzten!
Schön für mich war es, nah bei den Menschen zu sein und ihnen zu passenden Stücken zu verhelfen.
Morgen muss dringend der Shop wieder aufgefüllt werden.
Parallel passiert so viel… ich könnte noch vieles schreiben. Morgen wird ein langer Tag: wir fahren um 8:30 Uhr hin und sind vor 1:00/2:00 nicht wieder da…deshalb versuche ich mit noch besseren Ohrstöpseln und Schlaftee zu schlafen.

31.12.2016

Fourth Day in Veria:
Beginn im Camp 9:00 Uhr, Ende 0:30 Uhr.
Was für ein Tag! Bislang der kälteste Tag hier. Diesmal stand wieder Shopping auf der Tagesordnung für das nächste Haus. Mit Leanda, einer Volunteer aus Holland, haben wir wieder viele mit schönen Kleidungsstücken versorgen können. Unser System ist folgendermaßen: im Raum eins sind alle beschrifteten Kartons der Spenden von überall her, auch unsere aus Köln. Im Raum zwei wurde bisher sortiert, aber sehr chaotisch und nun mit neuem System. Es sind auch einfach zu wenige Helfer/innen dagewesen bisher. Im Raum drei wird geshopt. Wir versuchen die wichtigsten Dinge mit dem Bedarf da zu haben, aber es ist ausreichend.
Parallel dazu wurde während des ganzen Tages die große Party vorbereitet. Die Frauen haben das leckere Essen vorbereitet, die Männer den Platz und alle hatten ordentlich zu tun. Es war absolut saukalt. Ab 18/19 Uhr waren sehr viele da und es gab Essen, Getränke, Feuer und viel laute Musik. Die Stimmung war sehr gut, es gab Gespräche mit einigen Geflüchteten. So habe ich eine tolle Familie aus dem Irak kennengelernt: die Mama ist Lehrerin und schult im Camp die Kinder. Eine Tochter hat englisch studiert und auch einige Schwestern sprechen sehr gut Englisch. Sie sind schon einige Zeit in Griechenland und sind über die Türkei geflohen. Sie hoffen sehr, dass sie bald irgendwo anders hin können.
Das war gestern außergewöhnlich. Eine tolle Stimmung: die Campbewohner waren sehr gelöst, es war trotz allem viel Freude und Zusammensein da. Es wurde getanzt: draußen die Männer, drinnen die Frauen. Um Mitternacht wurde gejubelt und typisch deutsch/englisch/holländisch sich um den Hals gefallen. Das Feuer ging aus und ich bin total verkühlt, mit schmerzenden Knochen und sehr bewegt ins Hotelbett gefallen.

01.01.2017

Fifth day in Veria: Abfahrt heute dann um 9:30 Uhr, ist ja Neujahr ;). Die Stimmung im Camp war gut, viele freuten sich, es war sonnig. Vor dem Shop stand schon eine Gruppe und los ging es. Die erste Familie war die irakische Familie und wir hatten den ganzen Tag gut zu tun. Auch witzige und besondere Kleidungsstücke wurden gut genommen. Sehr bunte Mützen, enge Stretchkleider, sehr besondere Mäntel für Abayas und und. War ein netter Tag mit schönen Begegnungen und natürlich wurden mit auch mit Essen bedacht. Heute für mich bisher der angenehmste Tag. Kalt ist es weiterhin und ich hoffe, ich werde noch warm. Aus meiner Komfortzone bin ich schon lange raus.
Und bei alldem „Gejammere“ um mein Wohlbefinden: das Leben in den Camps ist das was wirklich hart ist. Und hier gibt es zum Glück Räume und keine Zelte.
Uns geht es einfach verdammt gut, vergesst das nicht.

02.01.2017

Sixth day in Veria: sehr kalt und sonnig. Heute Morgen nach dem Briefing mit Sarah Griffith haben wir unsere gespendeten Murmeln in schöne Beutel gepackt und werden sie morgen verteilen. Danke an die Spenderinnen: Elisabeth Maser und Sylvia Schnaider.
Auf dem Weg zum Camp haben wir Obst eingekauft von einem Teil meines Handgeldes. Obst ist Mangelware im Camp und so oft wie möglich wird es zusätzlich von Spendengeldern eingekauft. Ich glaube, der Obsthändler heute Morgen hat das Geschäft seines Lebens gemacht.
Weiter ging es im Camp mit dem Umsortieren des Shops, da nun als nächstes die Kinder versorgt werden. Also alles abhängen und wegpacken und neues aufhängen. Das hat zum großen Teil Leande Myrrhe gemacht, da ich Jonas Ermes unterstützen durfte, die Trikots an die Kinder zu überreichen. Das war wundervoll zu sehen wie sehr sich die Kinder (und Jonas) gefreut haben. Danach spielten alle Kinder mit ihren Trikots draußen. Schön war es auch, dass einige Mädchen dabei sind.
Heute hatten wir auch Besuch von einer amerikanischen Hilfsorganisation, die von Camp zu Camp fahren und dort Mützen, Handschuhe und Jacken vorbeibringen. Tolle Idee und gut gemacht, da sie bedarfsorientiert handeln.
Und wir haben weiter sortiert, eingeräumt, weggeräumt und waren zum Schluss mit allen Volunteers essen.
Müde, immer noch kalt und froh gehe ich nun ins Bett.

03.01.2017

Seventh day in Veria – gestern und der letzte Tag. Und es war so viel zu tun und hört nicht auf.
Ich habe mit Malte Damenbinden von unserem Spendengeld von Easy Welcome e.V. gekauft, dringend nötig, da sie im Camp nur sehr dicke Binden haben. Wir haben damit fast den ganzen Laden leergekauft. Und für die große Barbieverteilaktion haben wir auch fast einen Laden mit Barbiekleidern leergekauft.
Weiter ging es im Camp mit Ordnen und Aufstocken des Shops für die Kinderkleidung. Das im Dunkeln, da mal wieder der Strom ausgefallen ist.
Später haben wir die Murmeln verteilt und hatten die große Barbieverteilaktion.
Sehr besonders war gestern der Moment im Womens Space. Zusammen mit Sarah Griffith und Daniela Villeneuve haben wir mit einigen Frauen sensible intime Frauenthemen besprochen und ihnen Spenden übergeben. Sehr offene Diskussion und wir wissen nun noch besser wo wir unterstützen können. Danke 💗

Gegen 19 Uhr waren wir durch mit allem. Ich war etwas traurig und stolz, was wir zusammen geschafft haben.